Bärbel Bohley, die Mitbegründerin des Neuen Forums in der DDR, ist heute im Alter von 65 Jahren gestorben. Was hat das mit uns am Teutoburger Platz zu tun? Blick zurück auf den September 1989:
„Büro Bohley, Fehrbelliner Straße 91 – Die Umschlagstelle für Nachrichten, der Knotenpunkt der beginnenden Formierung der Sammlungsbewegung Neues Forum ist im September 1989 das Atelier von Bärbel Bohley im Hochparterre mit Blick auf den Teutoburger Platz im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg und ihre darüberliegende Wohnung im ersten Stock.
Schon nach wenigen Tagen wird ein Bürodienst organisiert, weil sie den Ansturm allein nicht meistern kann. Rund um die Uhr klingelt das Telefon, stehen Leute vor der Tür, die nicht nur den Aufruf unterschreiben, sondern auch reden wollen. Journalisten aus aller Welt bitten um Interviews. Der Ansturm ist überwältigend. […]
Der Besucheransturm im Atelier von Bärbel Bohley nimmt jeden Tag zu. Nicht nur tagsüber sind Helfer zur Stelle. Jeweils in den Abendstunden ist ein sich abwechselnder Bürodienst damit beschäftigt, Hunderten Personen Auskunft zu geben, das Info-Material auf dem großen Arbeitstisch zu aktualisieren oder Listen entgegenzunehmen. Die Menschen sind begierig auf die vervielfältigten Flugblätter, Offenen Briefe, Erklärungen, Aufrufe, und sie wollen reden, sich austauschen über die politische Lage. […] Während Tausende DDR-Flüchtlinge in den bundesdeutschen Botschaften am 30. September 1989 ihre Ausreise erreichen, ist bei den Erstunterzeichnern des Gründungsaufrufes ebenso wie im »Büro Bohley« eine unerwartete Flut von Unterschriftenlisten aus nahezu allen Regionen der DDR eingetroffen. Vielerorts stellen sich Menschen, die das nie von sich geglaubt hatten, nun selbst mit ihren Adressen als Kontaktpersonen zur Verfügung.“
(aus: Robert-Havemann-Gesellschaft: Neues Forum eine Erfolgsgeschichte)
In den neunziger Jahren fand in dieser Wohnung das erste Treffen von Bürgerrechtlern mit dem damaligen Kanzler Helmut Kohl statt. Im Jahre 1996 verließ Bärbel Bohley ihr Atelier am Platz und engagierte sich im Kriegsgebiet des ehemaligen Jugoslawien. Sie lebte lange in der Nähe von Split in Kroatien. 2008 kehrte sie zurück nach Berlin und damit in die Fehrbelliner.
„Es war eine schwere Heimkehr. Als Bärbel Bohley nach zwölf Jahren wieder durch ihr Viertel rund um die Fehrbelliner Straße in Berlin-Mitte ging, suchte sie den Eisenwarenhändler an der Ecke Veteranenstraße, wo man bis vor kurzem noch einzelne Nägel kaufen konnte, und sie fand ihren alten Klempner und den verkramten Tante-Emma-Laden nicht mehr. Auch die Leute, die wie sie einst das Leben als Kunstform beherrschten, waren fort. Und wo war der vertraute Umgangston mit den Nachbarn und dieses faszinierende Gefühl von Entschleunigung, das der Gegend früher den Takt vorgab? Stattdessen sah sie, wie die einst kranken Fassaden inzwischen Pastell tragen und entdeckte Geschäfte, in denen mit Retromöbelträumen gehandelt wird. Sie hörte viel Englisch und stieß immer wieder auf Zitate, die suggerierten, dass die DDR das coolste Land der Welt war. Die Frau, die die Wohnungstür im Parterre öffnet, gehört zu dieser Straße und wirkt doch verloren in ihr. Auf ihrer Fensterbank wachsen immer noch Kakteen, und man hat den Eindruck, als wünschte sie sich, dass daraus eine Hecke würde, die sie vor der Zudringlichkeit der Öffentlichkeit beschützt.“
(aus: FAZ: Die Gedankenlosigkeit dieses Landes)
Mit Bärbel Bohley hat der Teutoburger Platz eine mutige Kämpferin für Freiheit und Frieden verloren