von Wede
Wer mich kennt oder hin und wieder dieses Blog besucht, weiß, dass meine zweite große Leidenschaft neben Musik gutes Essen ist – selbstgekocht, gekauft oder bestellt. Deshalb fragen mich auch immer wieder Bekannte, wenn sie auf der Suche nach kulinarischen Köstlichkeiten durch Berlin irren.
Wer mich fragt, wo es in der Stadt die besten Brötchen gibt, rennt damit bei mir offene Türen ein. Wenn ich Zeit habe, beginne ich meine Antwort meistens mit einer Gegenfrage: “Willste Brötchen oder Schrippen?” “Wo issn da der Unterschied? ‘Schrippe’ ist doch einfach nur Berliner Dialekt für Brötchen, oder?” Typisch.
Zunächst mal Grundsätzliches für alle Nicht-Berliner oder Zugereisten, die’s immer noch nicht mitgeschnitten haben: Eine Schrippe ist eine Schrippe ist eine Schrippe. Kein Brötchen. Schrippen werden aus Wasserteig, Brötchen aus Milchteig hergestellt. Schrippen werden längs geritzt, damit sie eine größere Oberfläche bekommen. Dadurch backen sie gleichmäßiger aus und haben auch mehr leckere Kruste. Daher hat die Schrippe auch ihren nahmen: Schripfen = Ritzen. Eine Variante der Schrippe ist die Semmel, die in Berlin kein bayerisches Sternbrötchen, sondern ein quergeritztes Schrippen-Doppel ist. Im Bild oben hat sich eine Semmel unten rechts in den Schrippenkorb verirrt.
Jetzt zurück in die Wendezeit: In Ost- und Westberlin hat sich die Schrippe durch die Teilung unterschiedlich entwickelt. Das heißt, im Osten hat sie sich überhaupt nicht entwickelt. Dort wurde ohne den Einfluss von Großbäckereien, Aufback-Ware und Körnchen-Hysterie an der Schrippe nicht herumgepfuscht. Im Westteil der Stadt gab und gibt es zwar auch Bäcker, die ihr Handwerk verstehen, aber in der Breite hat sich die Schrippe dort schon vor langer Zeit der pampigen, aufgeblasenen Süße des Bundeseinheitsbrötchens angepasst.
Politisch korrekte Schreiberlinge haben sich zwar aus dem Schrippenkrieg der 90er Jahre verdrückt und behaupten jetzt, es gebe eigentlich keine Unterschiede zwischen Ost- und Westschrippe. Aber das ist gequirlter Teig. Ich lebe jetzt seit fast 18 Jahren in der Stadt und habe noch nie in einem Westbezirk eine Schrippe gegessen, die auch nur annähernd so schmeckt, wie ich es will. Seht Ihr? Wie ICH es will. Wer einen objektiven Beitrag über Geschmack erwartet, ist hier falsch und tickt sowieso nicht richtig.
Und wo schmecken mir die Schrippen am besten? Das ist zur großen Enttäuschung vieler Prenzlberg-Schwaben nicht Hacki der Bäcker, bei dem immer alles lecker schmeckt. Nein, die Bäckerei Hacker macht zwar exzellente Schrippen und hat auch sonst ein tolles Angebot, ist für mich aber nur die zweitleckerste Bäckerei.
Mein Schrippenkönig thront in der Zionskirchstraße 52: die Bäckerei Zessin. Dort entstand das Foto des Schrippenkorbs. Und auch wenn der Weißabgleich im schummrigen Licht ein wenig danebenging, kann man doch fast riechen, wie verdammt gut die Schrippen sind. Den Geschmack zu beschreiben, erspar ich mir und Euch. So etwas kann nur schiefgehen. Nur so viel: die Kruste ist eine Kruste und keine Splitterbombe. Sie ist nicht süß und im Inneren weder fluffig noch peppig. Ebenso fehlt der Zessin-Schrippe der penetrante Hefe-Geschmack der Schnellback-Brötchen. Mario Zessin und seine Truppe mischen den Teig selbst und geben ihm Zeit, etwas aus sich zu machen. Alles ist Handarbeit, auch das Ritzen. Zu Zessins Leuten gehören übrigens auch Lehrlinge – es gibt also Hoffnung, dass die Handwerkstradition weiterlebt.
Das Angebot der Bäckerei Zessin ist überschaubar. Gemacht wird, was man kann und sonst nichts. Ein Bäcker, der dutzende verschiedene Brötchen- und Brotsorten anbietet, kann das gar nicht selbstmachen. Das, was Zessin in der Vitrine und in den Regalen hat, ist selbstgemacht und schmeckt einfach großartig. Das Mischbrot ist sogar nach mehren Tagen noch lecker, nicht nur genießbar. Das liegt unter anderem an der dunklen Kruste, die der Bäcker auch zur Zeiten der Acrylamid-Hysterie beibehalten hat. Die Sandtaler sind sensationell und wenn Saison ist, sind die Obstkuchen der Hammer. Das einzige, was ich bei Zessin nicht empfehlen kann, sind die Kürbiskern-Brötchen. Ihnen schmeckt man an, dass Zessin sie nur für Zugereiste backt. Schrippen kosten übrigens 20 Cent, was im Vergleich zu den Backshops rund das Dreifache ist. Sie sind es aber mehr als wert. Um Euch einmal zu demonstrieren, wie erbärmlich die Schrippe eines Backshops im Vergleich zur Zessinschrippe ist, habe ich den Presstest gemacht.
Links seht Ihr das 70 Gramm schwere Produkt aus dem Aufback-Ofen eines Backshops, der in Supermarktfilialen einer Handelskette steht, die die früheren Kaufhallen übernommen hat (Tipp: lächelndes Kännchen). Rechts, mit 60 Gramm etwas leichter, der Kandidat aus Meister Zessins Bäckertüte. Beide Schrippen habe ich mit der flachen Hand flachgedrückt. Eine anständige Schrippe sollte bei diesem Test wenigstens halbwegs Haltung bewaren.
Damit mir keiner unterstellen kann, ich hätte geschummelt, habe ich keine Mühe gescheut und per Video dokumentiert, wie die Zessin-Schrippe geradezu atmet. Man beachte die blaugefrorene Hand, die Zeugnis davon ablegt, dass ich gerade vom Einkauf zurückgekommen bin.
Das Ergebnis ist mehr als eindeutig. Genauso wie auf dem Brett gibt das Backshop-Teil auch im Mund eine traurige Vorstellung. Beim Abbeißen zerbröselt die hauchdünne Kruste und verklebt auf der Stelle die Zähne am Übergang zum Zahnfleisch. Lächeln verboten. Beim Kauen wird der eklige Brei im Mund immer süßer und verwandelt sich in Kleister, den man nur mit Unmengen von Kaffee runterspülen kann.
Der Testsieger krachte vor Freude auf, als meine Zähne die fast unversehrte Kruste durchstießen. Nichts verklebte mein Gebiss, keine Splitter bedrohten mein Augenlicht. Wenn etwas abfiel, dann ein großes Stück Kruste, das sofort wieder aufgehoben wurde. Statt süßlichem Hefearoma durchströmte Geschmack meinen Gaumen und meine Zunge gab den leckeren Teigbatzen nur ungern zum Schlucken frei.
Ach ja, es fehlt noch die Erklärung, warum ich den Beitrag BSDSS genannt habe. Einige werden sicher schon darauf gekommen sein: Berlin Sucht Die SuperSchrippe. Wer übrigens glaubt, bessere Schrippen in Berlin gefunden zu haben, kann sich gerne an der Suche beteiligen. Die Kommentar-Spalte wartet auf Herausforderer.
Dieser Beitrag wurde urprünglich im Macmagazin veröffentlicht.
Macmagazin: BSDSS
Sehr lustig dieser Brötchen äh Verzeihung Schrippentest. Leider wird es immer schwieriger in diesem Bereich gute Qualität zu finden. Denn auch bei vielen Bäckereien sieht es ja vorne traditionell aus und hinten werden trotzdem fertige Teiglinge in den vorgeheizten Ofen geschoben. Den Drucktest muss ich mir aber mal merken…stellt sich nur die Frage was meine Mitmenschen sagen, wenn ich nächsten Samstag erst mal alle Schrippen plattquetsche…