»Die schönste Zeit im Leben ist die, wenn die alte Macht gegangen und die neue noch nicht da ist …«
Schon in den 80ern war die „alte Macht“ am Prenzlauer Berg ein Stück weit auf dem Rückzug und ließ erste Freiräume zu, die sich mit unangepassten Lebensentwürfen zahlreicher Republikbewohner_innen füllten. Zunächst weitgehend einträchtig wurden spätestens mit der „Wende“ zahlreiche Ideen und Projekte umgesetzt – vorerst auch ohne Vertreibung der alten Mieter_innen durch „Zugereiste“ – es stand ja genug leer, besetzte Wohnungen und über 40 komplett besetzte Häuser wurden legalisiert. Mit der (dadurch?) zunehmenden Attraktivität des Kiezes wurde der Platz knapp, die Mieten explodierten und eine umfassende Gentrifizierung war die Folge. Viele der neuen Nachbar_innen behielten ihre eher kleinstädtischen Lebensentwürfe gleich bei, der „Mythos Prenzlauer Berg“ wurde nicht mehr nachgefragt und von den teuren Kinderwagen beiseite geschoben.
Wahrscheinlich noch nicht am Ende dieser Entwicklung wirft unser heimatgeschichtlicher Exkurs einen Blick auf die unterschiedlichen dokumentarischen Reflektionen der letzten 30 Jahre, wobei der Schwerpunkt eher im Zeitraum zwischen DDR-Piefigkeit und überteuertem Dachgeschossausbau liegt.
Sonntag, 01.11. 20:00
Links und rechts der Schönhauser – Filmplauderei um die bekannte Berliner Straße
In der Dokumentation des DDR-Fernsehens aus dem Jahr 1983 führt der waschechte Ost-Berliner Jaecki Schwarz durch die Schönhauser Allee, als „Boulevard des Nordens“ sicher die bekannteste Straße des Prenzlauer Bergs. Er beleuchtet die Geschichte und Gegenwart des die Straße umgebenden Stadtteils, seine Anfänge als Weinbaugebiet und Vergnügungsviertel, seine Entwicklung zum Arbeiterviertel und das Leben in der damaligen DDR-Gegenwart.
Einmal in der Woche schrein…
DDR 1982/89, 13 min., R.: Günter Jordan;
…wollen die Jungen und Mädchen vom Helmholtz-Platz, wenn sie sich bei Schmalzstulle und Club Cola in „Willis Disko“ treffen. „Immer um Erlaubnis fragen, gibt´s den gar nichts mehr zu wagen, wer will an der Leine gehen, ich will selber denken, selber sehen“ singt die Band Pankow und trifft damit die Wünsche der Jugendlichen…
Sonntag, 08.11. 20:00
Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann?
DDR 1989, 52 min., sw., R.: Helke Misselwitz, K.: Thomas Plenert
Das Porträt einer Gruppe von Kohlenmännern und ihrer Chefin in Prenzlauer Berg. In stimmungsvollen, präzisen Schwarz-Weiß-Bildern dokumentiert der Film nicht nur die harte Arbeit, die die rauhen Männer prägt, sondern spiegelt auch ihr Privatleben und formt so eine sehr aufschlussreiche Milieustudie.
Aschermittwoch
DDR 1989, 19 min. R.: Lew Hohmann;
Angelika Wettstein ist Kassiererin in einer Kaufhalle an der Pappelallee und allein erziehende Mutter von 6 Kindern. Während ringsum die Zeichen auf Untergang stehen, gewinnt sie Kraft aus einer heiteren Souveränität. Ein Porträt aus den letzten Tagen der DDR.
Das freie Orchester
DDR 1988, 18 min, R.: Petra Tschörtner;
Ein experimenteller Dokumentarfilm über eine Free-Jazz/Rock – Band in Prenzlauer Berg, den Alltag der Bandmitglieder und einen Auftritt im Franz-Club in der heutigen Kulturbrauerei;
Sonntag, 15.11. 20:00
Tuba wa duo
12 min, R.: Jörg Foth
Der 11minütige Streifen zeigt zwei Tuba-Spieler, die sich einen musikalischen Nischenkampf auf den Dächern Berlins liefern. Die Vorlage lieferte Hans-Eckardt Wenzel mit einem seiner Clownsstücke. Der Filmregisseur Jörg Foth umschreibt seinen Film mit den Worten „filmische Befürchtungen“, denn hier wird auf surreale Weise durchgespielt, was passiert, wenn sich in der DDR nichts ändert. Entstanden ist der Film 1988. Zugelassen wurde er 1989 und erhielt das Prädikat „besonders wertvoll“, weil er die komplizierte Stimmungslage in der DDR sichtbar machte – „überwendet“ hat er im Regal von Progress und fand auch nach ´90 nur in alternativen Milieus statt.
Berlin Prenzlauer Berg Berlin – Begegnungen zwischen dem 1. Mai und 1. Juli 1990
DDR 1990, s/w, 100 min, Regie: Petra Tschörtner;
«We need a revolution», singt die Band «Herbst in Peking» aus dem Prenzlauer Berg in den Trümmern der Mauer am Rande ihres Stadtbezirks. Dabei ist im Mai ´90 schon fast alles gelaufen. Im «Prater» schwooft Knatter-Karl mit seiner Freundin. Frieda und Gerta im «Hackepeter» sind erschüttert, denn gleich nach dem Fall der Mauer wurde im Tierpark ein Papagei gestohlen. Die Volkspolizei toleriert barbusige Frauen, und Näherinnen erklären, warum die Vietnamesen zuerst entlassen werden müssen. Ein einsamer Gast aus dem «Wiener Cafe» singt zum Abschied das Lied von der Heimat, die rumänische Combo eilt zurück zum Balkan-Express. Hausbesetzer träumen von Anarchie, und Frau Ziervogel, die Inhaberin von Berlins berühmtester Würstchenbude, segnet das erste Westgeld. Filipp Moritz besetzt den Prenzlauer Berg.
Sonntag, 22.11. 20:00
Gethsemanekirche (BRD 2003, 45 min.)
Die Gethsemanekirche im Prenzlauer Berg gehört zu den größten Kirchen im Ostteil von Berlin. Von der Gethsemanekirche gingen im Oktober 1989 durch Mahnwache und Hungerstreik entscheidende Signale für den Umbruch in der DDR aus, die zunächst von der Staatsmacht überhört wurden: am 07./.08.Oktober wurde zum letzten Mal mit polizeilichen Mitteln geantwortet. Es kam zu über 1000 Festnahmen. Auch in diesem Jahrtausend steht Gethsemane noch für den (Widerspruchs-?) Geist am Prenzlauer Berg: Nach einem ökumenischen Abendmahl wurde der beteiligte katholische Geistliche umgehend suspendiert…
Komm in den Garten
DDR 1990, Farbe, 83 min., R. & B.: Heinz Brinkmann, Jochen Wisotzki;
Eine Geschichte dreier Freunde. Dieter, der Maler, verbrachte wegen «Arbeitsscheu» zehn Jahre in Gefängnissen. Alfred, zum stellvertretenden Chefredakteur avanciert, geriet durch die Zwickmühle von Aufbegehren und Alkoholismus in Gefängnisse und Psychiatrien. Michael, der in Moskau Außenwirtschaft studiert hatte, wurde aus der Akademie gefeuert und lebt 1990 vom Lampenbasteln. Tragik und Komik, Zorn und Zärtlichkeit wohnen nebeneinander in den Szenen des Films, der das Leben der drei ein paar Tage begleitet. Äußere und innere Bedingungen werden reflektiert, die in der Schizophrenie der DDR-Gesellschaft zwischen humanistischem Anspruch und praktizierter Bevormundung ins soziale Abseits führten. Vor allem aber geht es um die Frage: «Wieviel Liebe braucht der Mensch, und wo kann er sie finden?»
Sonntag 06.12. 20:00 Uhr
Prenzlauer Berg Walzer
BRD 1990-93, 110 min., R.: Jörg Foth, K.: Thomas Plenert;
Die „Langzeitdokumentation“ filmt die Entwicklung einer Handvoll Leute aus dem Kiez zwischen Greifswalder Straße und Prenzlauer Allee vom 03. Oktober bis ins Jahr ´93: eine Russischlehrerin verliert ihren Job, ein Drucker hängt an der alten Bleisatztechnik, muss aus ökonomischen Gründen aber auf moderne Maschinen umrüsten und eine Friedhofssekretärin schwebt in nostalgischer Heiterkeit…
In der Zeit der Zuspitzung des Ost-West-Konflikts rechnet der schon zu DDR-Zeiten rebellische DEFA-Regisseur Foth (Letztes aus der DaDaeR) den „Wessies“ nicht etwa ihre Sünden vor, sondern versucht, mit dem Charme der Protagonisten zu überzeugen – vielleicht sollte der „Prenzlauer Berg- Walzer“ ja ein ganz anderer Film werden?
Sonntag 13.12. 20:00 Uhr
Geschichten aus dem Prenzl’Berg
Gefängniszellen und Atombunker in einem Keller, das Depot der Pferdebahn im Multiplex-Kino, Fluchtwege unter dem Gleimtunnel: Entdeckungen im alten und neuen Szenebezirk. Die Spuren der Geschichte in Prenzlauer Berg sind unter neuem Putz und bunter Farbe versteckt, doch die Häuser und ihre Mauern erzählen. Wer weiß noch, wo zum Beispiel Anfang des 20. Jahrhunderts die italienische Kolonie mit ihren Lokalen und den berühmten Drehorgelwerkstätten lag? Der spannende Streifzug durch die Geschichte des Prenzlauer Bergs erzählt vor allem von Schicksalen und Begebenheiten, an die im Stadtbild kaum noch etwas erinnert.
Meine Kneipe
R.: Thomas Heise, 60 min.;
Das „Pilsner Stübl“ in der Rosenthaler Straße erzählt Geschichten von denen, die schon immer hier wohnen direkt neben der Szene des neuen Berlins. Hier in der Kneipe bei Siggi und Marianne ist davon nichts zu spüren, nicht auf den ersten Blick. Selbst wenn es nur noch Arme gibt, in dieser Kneipe wird immer gesoffen auch nachts ist Party. Siggi und Sohn Mario singen vom Bier auf Hawaii, Volkmar hat wieder kein Glück bei den Frauen. Ein betrunkenes Pärchen streitet um Geld. Versuche von Zärtlichkeit, ein Walzer. Da wo man ist, geht es immer so weiter und hört nicht auf. Und Siggi zapft Bier.
Sonntag 20.12. 20:00 Uhr
Mittendrin
BRD 2003, 80 min., R.: Marko Wilms mit: Jochen Sandig, Mathias Ambellan, Christian (Flake) Lorenz, Andre Greiner-Pol und Jutta Weitz
In Aufbruchstimmung besetzten 1989/90 junge Leute leer stehende Häuser in Berlins Mitte, der Film begleitet Utopisten dieser Zeit und beobachtet ihre sehr unterschiedlichen Lebenswege. Jochen Sandig verwandelte sich vom Sprecher der Anarchoruine Tacheles zum Intendanten der Schaubühne, Jutta Weitz von der KWV rettete durch engagierte Gewerberaumvergabe in Berlin Mitte etliche Projekte für die ersten Jahre, Christian (Flake) Lorenz wurde vom Ossipunk zum weltberühmten Rockstar während André Greiner-Pol bis zu seinem Tod im Kiez blieb – trotzdem „kein Kind von Traurigkeit“ ….
Berlin – Prenzlauer Berg – Ein Film von Kristian Kähler
Der letzte Film der Reihe führt uns in eine (nicht mehr so) unbekannte Welt: Junge, dynamische Besserverdiener wollen hier keinen Schmutz, keine Schmierereien und keine Schnorrer mehr und sonnen sich in dem Gefühl, die Zukunft zu repräsentieren und alles richtig zu machen: man versteht sich als modern, multikulturell, politisch engagiert und aufgeklärt linksalternativ. Hier ist alles Bio, 50% Wählerstimmen gehen an die Grünen und natürlich fährt man mit dem Fahrrad. Das Ehepaar Kauz(!), seit über 50 Jahren am Kollwitzplatz und damit „die letzten Mohikaner“ ihrer Generation betrachtet konsterniert die Entwicklung…